Dienstag, 20. Februar 2007

Riesen geistern durch die Sagenwelt



Video "David and Goliath" von Youtube



Wiesbaden (welt-des-wissens) - Goliath, Polyphem, Rübezahl, Christophorus und andere Riesengestalten geistern durch die Sagenwelt. Alle Völker dieser Erde kennen solche Wesen von unglaublicher Größe mit übermenschlichen Kräften. Einmal gelten sie als wahre Tölpel, die nur rohe Kraft walten lassen, dann wieder sind sie Helden oder sogar Schöpfer der Welt. Der Wiesbadener Wissenschaftsautor Ernst Probst hat sich im Reich der Riesen umgesehen.

"David rannte auf den Philister zu, schwang seine Schleuder und ließ Goliath einen Stein gegen die Stirn fliegen, die der Helm nicht bedeckte. Goliath stürzte und fiel aufs Gesicht. Auf diesen Moment hatte David gewartet. Er lief zu seinem niedergestreckten Feind, zog dessen Schwert und schlug ihm den Kopf ab."

Diese Geschichte aus dem Alten Testament ist nur eine der vielen Erzählungen darüber, wie ein normal gewachsener Mann einen Riesen mit List bezwingen konnte. Goliath erreichte angeblich dreieinhalb Meter Höhe, und sein Panzerhemd soll sage und schreibe 104 Kilogramm gewogen haben. Welch großer Held muss also der kleine David gewesen sein, der einst jenen furchterregenden Krieger zu Boden streckte?

Riesen verkörperten über Jahrtausende das Bild des mächtigen und kraftvollen "Supermannes". Nicht wenige Kulturen schrieben ihnen die Erschaffung der Erde zu, denn "primitive Völker" konnten sich nicht vorstellen, dass jemand anders als Riesen gigantische Ozeane, Gebirge und Schluchten mit ihren Händen zu formen vermochten. Auch verheerende Stürme und wolkenbruchartige Regenfälle wurden als das Werk göttlicher Riesen gedeutet, die an ihre Macht erinnern wollten.

Der englische Volksmund etwa kennt viele phantasievolle Erzählungen über die Entstehung von Hügeln, Tälern und anderen Landschaftsformen durch Riesenhand. So sollen Riesen oft Erdhügel umhergeworfen oder gewaltige Felsbrocken ins Meer geschleudert haben. Die Angelsachsen erwähnen in ihren Gedichten häufig Riesen, die vor ihrer Ankunft in England existiert haben sollen. Sie konnten es sich nicht vorstellen, dass die von den Römern errichteten Bauwerke - wie Tempel, Festungen und Aquadukte - von Menschen geschaffen wurden.

Auch die Deutschen hatten ihre Riesen. Man denke nur an den Berggeist Rübezahl des Riesengebirges, der nach der Sage in vielerlei Gestalt den Wanderern half und sich an Spöttern rächte. Oder an die vielen Riesen, die in Rheinsagen eine Rolle spielten. So soll ein Riese namens Tännchel die Felsen gesprengt haben, die das Wasser des Rheins zwischen Schwarzwald und Vogesen aufstauten. Und den letzten Riesen aus dem Odenwald hat angeblich Kaiser Maximilian höchstpersönlich bei einem mittelalterlichen Turnier in Worms am Rhein besiegt.

Im Schwank erwiesen sich Riesen oft als ungeschlachte Tölpel, die auf vielfältige Weise überlistet wurden. Offenbar benutzten Menschen die Riesenlegenden gern zur Erklärung vieler Naturphänomene und um ein unbewusstes Verlangen nach übermenschlicher Fähigkeit auszudrücken. Nachdem unsere Vorfahren diese scheußlichen Ungeheuer ersonnen hatten, fanden sie stets auch Mittel und Wege sie durch Klugheit und allerlei Listen zu besiegen.

Die Gestalt der Riesen ist wahrscheinlich aus vielerlei urtümlichen Vorstellungsbereichen erwachsen: aufgrund existierender stark unterschiedlicher Größenverhältnisse, wegen der Deutung außerordentlicher Naturerscheinungen als Wirkung überstarker Wesen, durch Proportionsphantasie (der unterlegene Gegner muss aus Gründen des Effekts zu übermenschlichen Proportionen gesteigert werden, solche Vorstellungen spielten bei Drachensagen eine Rolle), vielleicht aber auch durch Halluzinationen im Rauschzustand.

Wie dem auch sei - Vorstellungen von riesigen Wesen finden sich seit ältester Zeit und überall auf der Erde. Die Griechen der Antike sahen in den Giganten, Titanen, Zyklopen und Hekatoncheiren die Naturkräfte verkörpert. Letztere besaßen angeblich jeweils 50 Köpfe und 100 Arme. Das Alte Testament nennt außer dem bereits erwähnten Goliath die Enakiter und Amoriter als Riesen. Bei den Germanen waren die Riesen vor allem die Gegner der Götter. Obwohl in den schwankhaft gefärbten Thors-Mythen der Gott immer die Riesen besiegte, vernichteten diese im Endkampf die Welt der Götter und gingen dabei selbst zu Grunde.

Nach der norwegischen Mythologie soll die erste lebende Kreatur der Riese Ymir gewesen sein. Von ihm stammen - so heißt es - sowohl die heutige menschliche Rasse als auch eine Riesenrasse ab. Die Indianer im Nordwesten der USA kennen Legenden über urzeitliche Riesen, die Menschen fraßen. In manchen Schilderungen besaßen die monströsen Gestalten sogar tierische Körperteile wie Füße aus Giftschlangen oder geschuppte Drachenschwänze.

Immer wieder aber besiegten Menschen einen Riesen. So berichtet eine englische Legende, daß eine auf der Insel lebende Riesenrasse von Brutus vernichtet worden ist. Brutus - nicht identitsch mit dem römischen Brutus - soll der Gründer des britischen Volkes gewesen sein. Die beiden letzten Riesen, Gog und Magog, wurden der Sage nach zu der gerade erst erbauten Stadt London gebracht, wo sie die Pforten des königlichen Palastes bewachen mussten.

In Japan wiederum vernichtete der heldenhafte Raiko mit treuergebenen Soldaten eine ganze Riesenbande, die in den Bergen angeblich Frauen angriff und deren Blut trank. Raikos Trick: Er ging mit seinen Soldaten als Affen verkleidet und bot ihnen einen Zaubertrunk an, der die Kerle schwächte.

Die Riesenlegenden wurden früher vielfach durch Funde beeindruckender Tierfossilien in Höhlen oder Flussbetten genährt. So deutete man Mammutüberreste in einigen Höhlen Siziliens als Knochen von Riesen. Große Knochen, die man in Flussbetten entdeckte, schrieb man mit Vorliebe dem heiligen Christophorus zu, der laut Legende das Christkind mitsamt Erdkugel auf seinen Schultern durch einen Fluss trug.

Schädelfunde ausgestorbener Zwergelefanten auf griechischen Mittelmeerinseln ließen die Sage von einäugigen Zyklopen (zu deutsch: "Rundauge") entstehen. Die Schädel hatten nämlich dort, wo der Rüssel ansetzt, ein großes Loch, das man für die Augenöffnung auf der Stirn eines Riesen hielt. Mit einem Zyklopen namens Polyphem hatte Odysseus, der König von Ithaka, seine liebe Mühe, bis er ihn schließlich überlisten und blenden konnte.

Fossilien von Wald- oder Steppenelefanten und Mammuten, die in bestimmten Abschnitten des Eiszeitalters von etwa 2,3 Millionen bis 10000 Jahren in Mitteleuropa lebten, wurden noch vor wenigen Jahrhunderten fälschlicherweise als Reste von Riesen gedeutet. Längst war in Vergessenheit geraten, dass Urmenschen solche Rüsseltiere gekannt und sogar gejagt haben. Die berühmten Bilderhöhlen in Frankreich und Spanien mit Mammutmotiven sind später entdeckt worden.

An den "Oberschenkel eines Riesen von wundersamer Größe", der einst am Rheinufer von Oppenheim bei Mainz zum Vorschein kam, erinnert ein großes Gemälde des Berner Malers Bartholmäus Sarburgh im Historischen Museum Bern. Dieser 1,27 Meter lange Knochen wurde um 1613 im Oppenheimer Wirtshaus ,"Zum Riesen" aufbewahrt und von einheimischen sowie auswärtigen Gästen bewundert. Ein vermeintlicher Riesenknochen von gleicher Größe befand sich damals auch im Besitz eines Oppenheimer Adeligen sowie in einem Speisesaal im badischen Ettlingen nahe Durlach. Außerdem hingen zu jener Zeit in einigen öffentlichen Gebäuden von Worms imposante "Riesenknochen".

Eine Zusammenstellung der berühmtesten Riesen wurde 1678 von dem Jesuitenpater und Professor für Mathematik, Philosophie und orientalische Sprachen, Athanasius Kircher, der in Würzburg und Worms wirkte, in seinem Werk "Mundus subterraneus" ("Unterirdische Welt") veröffentlicht. Im Vordergrund einer darin gezeigten Abbildung steht der zehn Meter hohe "Sizilianische Riese" dessen Reste im 14. Jahrhundert in einer Höhle bei Trapani auf Sizilien geborgen wurden. Der italienische Dichter Gioivanni Boccaccio schrieb diese Funde dem aus der Odysseus-Sage bekannten Riesen Polyphem zu. Dem sizilianischen "Rekordhalter" folgte auf Platz 2 der Riese "Gigas Mauritaniae".

Als drittgrößten Riesen erwähnte Kircher den "Luzerner Riesen" ("Gigas"), dessen vermeintliche Reste 1577 bei Reiden nahe des Vierwaldstätter Sees nach einem Sturm unter einer gefällten Eiche zum Vorschein gekommen waren. Der Basler Arzt Felix Platter errechnete eine Körperlänge von 19 Fuß (also mehr als fünf Meter) für diesen Riesen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurden von einem Anatomen die noch vorhandenen Knochenreste eindeutig als die eines Mammuts identifiziert. Platz 4 in der Rangliste damaliger Riesen nahm der biblische Goliath ein.

Um Mammutknochen und einen Mammutzahn handelte es sich auch bei den vermeintlichen Resten des "Kremser Riesen" aus Niederösterreich, die 1645 auf dem "Hundssteig" in Krems an der Donau von schwedischen Soldaten beim Ausheben von Schanzwerken zutage gefördert wurden. Matthäus Merian der Ältere hat 1647 im fünften Band seines Werkes "Theatrum Europaeum" den "Kremser Riesenzahn" abgebildet.

Fast jedes Land hatte früher seinen Nationalriesen, der meistens auf Funde von eiszeitlichen Rüsseltierknochen zurückging, deren wahre Natur man nicht erkannte. Auf solchen Irrtümern beruhen auch die Sagen über Drachen und Einhörner. Man sollte diese Fehleinschätzungen nicht zu sehr belächeln, denn selbst heute noch spekulieren der schweizerische Bestsellerautor Erich von Däniken und einige andere Phantasten über die einstige Existenz von Riesen.

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Der Text über Ríesen ist eine Leseprobe aus dem Taschenbuch „Monstern auf der Spur“ (Wie die Sagen über Drachen, Riesen und Einhörner entstanden“ des Wissenschaftsautors Ernst Probst.

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