Mittwoch, 19. November 2008

Warum wir immer mehr wollen

Trotz Bankenkrise wird weiter »hoch gepokert«. Hirnforscher und Psychologen ergründen die Ursachen der Risikofreude beim Umgang mit Geld.

Aus: Quellenangabe: Gehirn&Geist

Anlässlich der jüngsten Finanzkrise stellt Gehirn&Geist in der aktuellen Ausgabe (12/2008) die Frage, wieso Menschen trotz unvorhersehbarer Kursschwankungen und instabiler Finanzmärkte immer wieder ihr Geld riskieren. Die Antwort, die Hirnforscher darauf geben, lautet schlicht: Die Hoffnung, ein Vermögen zu machen, reizt Menschen wesentlich stärker als realer Besitz.

Anlässlich der jüngsten Finanzkrise stellt Gehirn&Geist in der aktuellen Ausgabe (12/2008) die Frage, wieso Menschen trotz unvorhersehbarer Kursschwankungen und instabiler Finanzmärkte immer wieder ihr Geld riskieren. Die Antwort, die Hirnforscher darauf geben, lautet schlicht: Die Hoffnung, ein Vermögen zu machen, reizt Menschen wesentlich stärker als realer Besitz.

Neurowissenschaftler um Brian Knutson von der Stanford University in Kalifornien werteten kürzlich 21 experimentelle Untersuchungen aus, die den neuronalen Wurzeln der Geldgier auf den Grund gingen. Ergebnis: In allen Versuchen reagierten Probanden besonders stark auf einen erwarteten finanziellen Gewinn – Geldbeträge, die sie tatsächlich ihr eigen nennen konnten, hatten einen wesentlich geringeren Effekt auf das Belohnungssystem im Gehirn, das für Glücksgefühle zuständig ist. Die Aussicht auf einen möglichen Geldsegen, ruft laut Knutson also trotz der einhergehenden Risiken ein deutlich größeres neuronales Feuerwerk hervor als vorhandenes Eigentum.

„Risiken halten Menschen nicht vom Pokern ab“, meint auch die Psychologin Barbara Mellers von der University of California in Berkeley. Im Gegenteil, der Nervenkitzel mache das „Spiel“ mit dem Geld sogar noch attraktiver. Der Reiz der Ungewissheit gepaart mit der intuitiven Lust auf mehr bewirkt einen unstillbarer Hunger, der sich beim Umgang mit dem schnöden Mammon besonders bemerkbar macht, weil Geld ein so genannter „Sekundärverstärker“ ist – so der psychologische Fachbegriff. Im Unterschied zu Nahrung und Sex befriedigt es unsere Bedürfnisse zwar nicht unmittelbar, stellt aber eine Art Platzhalter für verschiedenste Sehnsüchte und Wünsche dar – seinen es nun Schuhe, Autos, Macht oder Anerkennung.

Allerdings ist die intuitive Gier nach immer größere Wohlstand aus Sicht des Psychologen Aron Ahuvia von der University of Michigan-Dearborn eigentlich widersinnig: Er veröffentlichte 2008 eine Überblicksstudie, die den Zusammenhang von Geld und Lebenszufriedenheit nachging. Demnach streben die meisten Menschen nach mehr Kapital, obwohl ein größeres Vermögen sie in Wirklichkeit nicht glücklicher macht. Auch statistische Analysen zeigen: Zumindest in Westeuropa spielt Reichtum für die persönliche Lebensfreude kaum eine Rolle. Sind die Grundbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung und ein Dach über dem Kopf ausreichend befriedigt, macht der Faktor Geld nur fünf Prozent der individuellen Zufriedenheit aus.

Gehirn&Geist ist das Magazin für Psychologie und Hirnforschung aus dem Hause Spektrum der Wissenschaft.