Mittwoch, 19. November 2008

Lernen: Schule morgen

Hirnforscher geben neuerdings pädagogische Ratschläge – vielen Erziehungswissenschaftlern gefällt das gar nicht. Dabei wollen beide Seiten dasselbe: dass Schüler besser lernen!

Aus: Gehirn&Geist, Dezember 2008

Gelangweilte Schüler, frustrierte Lehrer, schlechte Pisa-Ergebnisse – um die deutschen Schulen ist es schlecht bestellt. Doch woran liegt es, wenn Kinder nicht mehr lernen wollen und Pädagogen das Gefühl haben, an ihre Schützlinge nicht heranzukommen? Hier helfen die Erkenntnisse der Hirnforscher über die Bedingungen effektiven Schulunterrichts weiter: Lernen kann und soll Spaß machen! Der Wissenserwerb erfolgt oft nebenbei („implizit“, doch für viele Fähigkeiten gilt es sensible Phasen zu berücksichtigen. Und: Neues wird besser aufgenommen, wenn damit positive Gefühle verbunden sind.

Dieses Wissen auf den Schulalltag zu übertragen, ist Ziel einer jungen Disziplin – der Neurodidaktik. Dahinter steht die Grundidee, dass Kinder »gehirngerecht« lernen sollten. Wie die neueste Ausgabe von »Gehirn&Geist« (Heft 12/2008) berichtet, stehen viele Pädagogen dieser Forderung jedoch kritisch gegenüber: Die Erkenntnisse der Hirnforscher seien entweder altbekannt oder aber nicht auf die Praxis übertragbar. Darüber hinaus würden manche Neurodidaktiker aus Tierexperimenten Anweisungen für den Unterricht ableiten, was äußerst fragwürdig sei.

Der Tübinger Pädagogikprofessor und Neurodidaktiker Ulrich Herrmann hält in „Gehirn&Geist“ dagegen: Die Hirnforschung liefere solide naturwissenschaftliche Grundlagen für bewährte reformpädagogische Konzepte. Sie zeige, wie wichtig es sei, dass Kindern in der Schule machbare Herausforderungen gestellt werden und man sie weder missachtet noch entmutigt.

Der Alltag an vielen Schulen in Deutschland widerspricht demnach grundlegenden Einsichten der Hirnforschung: Die Klassen sind zu groß, die Leistungsüberprüfung erfolgt unter Angst und Stress, die Auslese nach Noten ist demütigend und demotivierend.

Fazit: Unterricht soll Spaß machen, in einer entspannten, spielerischen Atmosphäre stattfinden und Erfolgserlebnisse vermitteln. Sehr wichtig sind auch soziale Beziehungen: Lernen lässt sich am besten beim gemeinschaftlichen Handeln in Gruppen – Schluss mit isoliert sitzenden Schülern im Unterricht!

Wie das in der Praxis funktionieren kann, zeigt die „Gehirn&Geist“-Reportage über die Realschule im schwäbischen Munderkingen, die in der Pisa-Studie locker mit den Bildungsweltmeistern aus Finnland mithielt. Und auch in Thüringen macht Hirnforschung inzwischen Schule: in der landesweiten Bildungsinitiative „Nelecom“.

Gehirn&Geist ist das Magazin für Psychologie und Hirnforschung aus dem Hause Spektrum der Wissenschaft.