Montag, 28. April 2008
Ende der Kosmologie
Die Apokalypse des Wissens. Unsere Theorie des Urknalls ruht fest auf drei Pfeilern der Beobachtung . Wir sehen, dass ferne Galaxien (rote Pfeile) sich von uns wegbewegen, nahe Galaxien (blaue Pfeile) dagegen auf uns zu. Wir wissen, dass das gesamte Universum von kosmischer Hintergrundstrahlung erfüllt ist. Und wir können die relativen Häufigkeiten von Wasserstoff und Helium ermitteln, die sich seit kurz nach dem Urknall nicht wesentlich verändert haben. Bild: © Don Dixon/Scientific American
Werden unsere fernen Nachfahren möglicherweise weniger über das Universum wissen als wir? In der Mai-Ausgabe von Spektrum der Wissenschaft gehen zwei international hochrenommierte Kosmologen einer überraschenden Fragestellung nach – und kommen zu einer noch überraschenderen Antwort.
Aus: Spektrum der Wissenschaft, Mai 2008
Lawrence M. Krauss und Robert J. Scherrer wollten herausfinden, ob die Menschheit womöglich in einer ganz besonderen kosmischen Epoche lebt: der einzigen Epoche nämlich, in der es möglich ist, am Nachthimmel Hinweise auf den Urknall zu finden, der vor 13,7 Milliarden Jahren die Geburt des Universums markierte. Denn unser Wissen um den Urknall ruht auf drei Säulen, auf die Astronomen der Zukunft möglicherweise nicht mehr bauen können.
Zum einen können wir beobachten, dass sich fast alle sichtbaren Galaxien von der Milchstraße entfernen. Daraus schließen wir, dass das Universum expandiert – es dehnt sich also immer mehr aus, sodass sich im Lauf der Zeit alle Materie auf ein immer größeres Volumen verteilt. Die Folge: In hundert Milliarden Jahren ist das Raumvolumen so groß und die Materie so weiträumig verteilt, dass selbst Galaxien, die uns heute vergleichsweise nahe liegen, nicht einmal mehr mit den größten Teleskopen zu sehen sein werden.
Wie aber könnten künftige Astronomen noch auf die Expansion des Raums schließen, wenn keine Galaxien mehr am Nachthimmel zu sehen sind? Selbst wenn sie über Archive aus heutiger Zeit verfügten - die bis dahin viele Milliarden Jahre alt geworden sein und eine Reihe kosmischer Katastrophen überleben haben müssten -, in denen vom Urknall die Rede ist: Würden sie diesen Archiven dann noch Vertrauen schenken?
Zumal auch zwei weitere Säulen in Gefahr sind, die unserer heutigen Vorstellung von der Geschichte des Universums zugrunde liegt. Die kosmische Hintergrundstrahlung, die das ganze Weltall durchdringt, gilt ebenso als Beleg für den Urknall. Sie entstand rund 380.000 Jahre danach, als das damalige Gemisch aus Strahlung und Materie so stark abgekühlt war, dass die Strahlung nicht mehr darin gefangen blieb, sondern sich frei ausbreiten konnte. Aber schon heute ist diese Hintergrundstrahlung äußerst schwach und wird mit der Zeit immer weiter „verdünnt“. Eines Tages wird es praktisch unmöglich sein, ihre Signale unter all den anderen Strahlungsquellen noch ausfindig zu machen.
Und schließlich beobachten wir heute bestimmte kosmische Häufigkeiten von Helium und Deuterium. Sie weisen ungefähr dieselben Werte auf, wie dies auch kurz nach der Geburt des Universums der Fall war. Daher können wir mit ihrer Hilfe überprüfen, ob unsere Theorie der Entstehung der leichtesten Elemente korrekt ist. Die nämlich entstanden durch Kernfusion, für die das Universum, das nach dem Urknall heiß und dicht war, ideale Bedingungen bot. Künftige Astronomen werden bei ihren Messungen jedoch zu völlig anderen Ergebnissen kommen. Denn auch in Sternen wird stets weiteres Helium produziert. Im Verlauf vieler Sterngenerationen wird sich die Häufigkeit dieses Elements im Universum so stark veränden, dass Astronomen daraus nicht mehr auf den Urknall zurückschließen könnten.
Aus all diesen Erkenntnissen ziehen Krauss und Scherer schließlich noch einen letzten Schluss: Vielleicht leben auch wir in einer Epoche, in der das Universum bereits viele Spuren seiner Geschichte verwischt hat. Können wir tatsächlich noch herausfinden, woher wir stammen?