Mittwoch, 23. Januar 2013

Darf man Arten aussterben lassen?

Heidelberg. Artenschützer müssen oft schwere Entscheidungen treffen: Ihre Mittel und Möglichkeiten reichen bei weitem nicht aus, um jede einzelne bedrohte Art vor dem Aussterben zu bewahren. Aber sie verfügen über verschiedene Strategien, um als Nebeneffekt auch nicht gezielt geschützte Lebewesen zu unterstützen. Nur – welche Maßnahmen sind im Einzelfall am sinnvollsten?

Aus: Spektrum der Wissenschaft, Februar 2013

Da gibt es beispielsweise den Mitnahmeeffekt: Im Bannkreis einer spektakulären Art wie dem Großen Pandabären werden in seinem Lebensraum viele kleinere Lebewesen Nutznießer. Oder der Schutz eines Ökosystems hilft den Tieren und Pflanzen an diesem Ort.

Zum Hintergrund: In der Februarausgabe von "Spektrum der Wissenschaft" erörtert die amerikanische Umweltjournalistin Michell Nijhuis ein hierzulande bisher wenig bedachtes Vorgehen: Selbst beim besten Willen können Artenschützer gar nicht alle bedrohten Arten mit gezielten Maßnahmen retten. Die Gelder und Kapazitäten würden dazu niemals ausreichen. Die Mitarbeiter müssen deshalb Prioritäten setzen. Das tun sie schon immer. Vielen ist das nur wenig bewusst.

Im Mittelpunkt des Artikels "Herren über Leben und Tod" steht das französische Wort "Triage". Es bedeutet Sichten, Auslesen, Aussortieren, Trennen. Militärs und Katastrophenhelfer lernen Prinzipien, wie sich angesichts zahlreicher Schwerverletzter möglichst viele Menschen retten lassen. Übertragen auf den Natur- und Artenschutz bedeutet das, sich zu überlegen, welche Maßnahmen am besten greifen – sprich den meisten bedrohten Arten helfen.

In ihrem Artikel stellt Nijhuis die bekanntesten Ansätze vor. Manche betonen etwa den ökologischen Reichtum einer Region – hierbei hätten aber die eher artenarmen Mangrovenwälder geringe Chancen. Andere Ansätze stellen zentrale Arten im ökologischen Netzwerk in den Vordergrund. Dann würden seltene Tiere und Pflanzen von geringer ökologischer Bedeutung vernachlässigt. Man kann auch auf Exoten, etwa lebende Fossilien, besonderen Wert legen. Diesmal würden Organismen gering geschätzt, die ähnliche Verwandte haben.

Doch alle diese Leistungen lassen sich bewerten und gegeneinander aufrechnen. Australische Forscher entwickelten ein Softwareprogramm, das bei der Prioritätenfindung hilft. Es wird inzwischen weltweit bei vielen Großprojekten verwendet, so zum Schutz der Galapagosinseln, des Great Barrier Riffs und auch der Ostsee. Es gibt darüber Aufschluss, welche Maßnahmen am kostengünstigsten sind und am weitesten greifen. Denn auch pragmatische Naturschützer sind sich einig: Keine einzige Art soll abgeschrieben werden.