Dienstag, 6. März 2012

"Glasuniversität" Zwiesel: Forschung für eine transparentere Welt

Die "Europäische Hochschule" der Glasmacherkunst im Bayerischen Wald setzt seit über 100 Jahren Maßstäbe in der Glasentwicklung.

Zwiesel (obx - welt-des-wissens) - "Nimm 60 Teile Sand, 180 Teile Asche aus Meerespflanzen, 5 Teile Kreide - und Du erhältst Glas." Dieses Rezept ist über 2700 Jahre alt und wurde in der Keilschrift-Bibliothek des assyrischen Königs Ashurbanipal (668-626 v. Chr.) gefunden. Entdeckt wurde die Glasherstellung vermutlich schon vor mehr als 7000 Jahren durch Zufall. Noch immer aber hat der transparente Werkstoff nur einen Bruchteil seiner Geheimnisse und Möglichkeiten preisgegeben. In Zwiesel im Bayerischen Wald forschen Glasbläser und Ingenieure, Wissenschaftler und Techniker seit mehr als 100 Jahren nach ganz neuen Seiten des Glases: von innovativen technischen Einsatzgebieten über bessere Schmelzmixturen bis zu frischen Formen und Farben dieses durchschaubaren Werkstoffs. Die "Glasuniversität" in Zwiesel zählt zu den führenden Glasforschungs- und Bildungszentren weltweit.

Viele der ganz großen Erfinder in der Glasindustrie, die modernen Stars des Glasdesigns und Glastechnik-Forscher haben in den Hörsälen des Zwieseler Bildungszentrums die "Schulbank gedrückt". Rund 20 "Professoren" offenbaren den mehr als 370 Studenten aus aller Welt die bisher bekannten Geheimnisse des Glases und stellen die Weichen für die künftige Forschung.

1904 hat alles ganz klein angefangen. Die Stadt Zwiesel selbst gab den Anstoß zur Gründung der "Glashochschule". Die Glashütten des Bayerischen Waldes und im benachbarten Böhmen galten damals als Zentrum der europäischen Glasindustrie. In Sachen Berufsausbildung allerdings waren die Böhmen ihren bayerischen Kollegen voraus. "Die Gründerväter haben über den Zaun geschaut", sagt der heutige Schulleiter Hans Wudy. "Als Vorbild für die neue Zwieseler Bildungsstätte dienten damals die böhmischen Schulen".

Heute ist die "Glasuniversität" in Zwiesel die älteste und vielseitigste Bildungsstätte ihrer Art mit ständig über 300 "Studenten". "Wir sind die einzige Schule in ganz Europa mit einem so breit gefächerten Lehrangebot", sagt Wudy. Die Ausbildungsmöglichkeiten reichen vom Feinoptiker für die Entwicklung von Scannern oder Ferngläsern bis zum Produktdesigner für die Gestaltung der Glasobjekte von morgen.

Flaggschiff der "Glasuniversität" ist die Lehr- und Versuchsglashütte, in der Wissenschaftler, Lehrer und Auszubildende an der Glaswelt der Zukunft forschen. In der Fachschule für Glashüttentechnik - die einzige ihrer Art im gesamten deutschsprachigen Raum - lernen auch Gastschüler aus der ganzen Welt die Theorie und die Praxis der Glasmacherkunst.

Der Rückgang der Glashütten im Bayerischen Wald und damit des regionalen Bewerberangebots wurde durch die Ausweitung des Einzugsgebiets der Schule weit über die deutschen Grenzen hinaus aufgefangen. Die Ausbilder, viele durch ihre frühere berufliche Tätigkeit in den Betrieben in der Region verwurzelt, haben den Rückgang der Glasproduktion im Bayerischen Wald hautnah miterlebt. Der Negativtrend ist mittlerweile gestoppt.

Beigetragen hat dazu auch die vom Tourismusverband Ostbayern ins Leben gerufene "Glasstraße", die den Glashütten des Bayerischen Walds durch wachsende Besucherzahlen glänzende Nebeneinkünfte beschert. Neue Chancen für die bayerischen Glasmacher sieht Wudy - trotz wachsender Preiskonkurrenz aus dem benachbarten Tschechien - vor allem für die kleinen Hütten in mehr Kreativität und Individualität im Design. "Dieses Denken wird unseren Schüler seit Jahren mit auf den Weg gegeben", sagt der Schulleiter.

Kreativität beweist das Schul-Management auch selbst: handsignierte und progressiv gestylte Vasen oder filigrane Geschenkartikel aus der schuleigenen Glashütte werden mittlerweile europaweit über Galerien und Boutiquen vertrieben. "Der Erlös dient der Refinanzierung des Schulbetriebs und dazu, alte Techniken zu erhalten, aber auch ganz neue Produkte in den Markt zu bringen", sagt Hans Wudy.

Wer einen Blick in die gläserne Welt von morgen werfen will, hat die Gelegenheit am Tag der offenen Tür der Glasfachschule Zwiesel am 24. März von 10 bis 16 Uhr. Mehr Informationen im Internet: http://www.glasfachschule-zwiesel.de