Dienstag, 20. September 2011

2011 ist Hedwig-Dohm-Jahr

Mit Scharfsinn und Humor für die Gleichberechtigung:
FemBio Frau des Monats Hedwig Dohm (1831-1919)
180. Geburtstag am 20. September 2011

2011 ist Hedwig-Dohm-Jahr: gewidmet einer der klügsten und witzigsten Frauenrechtlerinnen der letzten 100 Jahre. Ihre Theorien nahmen die Argumentationen des späten 20. Jahrhunderts vorweg, ihre Forderungen zur konsequenten Gleichstellung der Geschlechter sind immer noch nicht vollständig verwirklicht worden. Voller scharfsinnigem Humor entlarvte sie die frauenfeindlichen Ausführungen der großen männlichen Denker ihrer Zeit als das, was sie waren: plumpe Rechtfertigungen partiarchalischer Machtansprüche.

„Glaube nicht, es muss so sein, weil es so ist und immer so war. Unmöglichkeiten sind Ausflüchte steriler Gehirne. Schaffe Möglichkeiten.“

Hedwig Dohm wurde am 20. September 1831 als Marianne Adelaide Hedwig Jülich in Berlin geboren. Sie war das dritte Kind und die älteste Tochter Wilhelmine Henriette Jülichs mit dem Tabakfabrikanten Gustav Adolph Schlesinger, ein Name, den die Familie 1851 in das weniger jüdisch klingende „Schleh“ ändern ließ. Hedwig hatte zehn Brüder und sieben Schwestern. Ihr ganzes Leben lang sollte sie darunter leiden, dass ihr nicht die gleichen Bildungsmöglichkeiten zugestanden wurden wie ihren Brüdern: den Töchtern der Familie wurde nur eine rudimentäre Schulausbildung erlaubt, während die Söhne das Gymnasium besuchen durften. Diese fehlende Bildung stellte für sie einen Mangel dar, dem sie zeitlebends ihren angeborenen Wissensdurst entgegensetzte.

Im Jahr 1853 heiratete Hedwig Schleh den Chefredakteur der satirischen Zeitschrift „Kladderadatsch“, Wilhelm Friedrich Ernst Dohm. Durch ihren Mann kam sie in Kontakt mit der intellektuellen Elite der Hauptstadt und das Haus der Dohms wurde ein sehr populärer Salon mit BesucherInnen wie Alexander von Humboldt, Lina und Franz Duncker, Franz Liszt, Theodor Fontane, Fanny Lewald, Ludwig Pietsch, Fritz Reuter, Lily Braun und vielen mehr.

Hedwig Dohm begann ihre Karriere als Essayistin 1867 mit „Die spanische National-Literatur in ihrer geschichtlichen Entwicklung“, einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Spanischen Literaturgeschichte. Von 1872 bis 1879 folgten ihre ersten vier feministischen Essaybände „Was Pastoren von den Frauen denken“, „Der Jesuitismus im Hausstande“, „Die wissenschaftliche Emancipation der Frau“ und „Der Frauen Natur und Recht“. In diesen Schriften forderte sie nichts weniger als die völlige juristische, soziale und wirtschaftliche Gleichstellung von Frauen und Männern und wurde über Nacht zu einer – äußerst umstrittenen – Berühmtheit. Nicht nur die die frühen Feministinnen fürchtenden „Herrenrechtler“, sondern auch die damalige bürgerliche Frauenbewegung, deren Forderungen sich größtenteils auf eine bessere Schulbildung für Mädchen und die Versorgung ledig gebliebener Mütter beschränkten, kritisierten ihre Thesen als zu radikal.

Hedwig Dohm war ihrer Zeit tatsächlich um Lichtjahre voraus. Sie war nicht nur überzeugt davon, dass nur wahre ökonomische Selbständigkeit der Frauen die Grundlage für eine freiwillige, gleichberechtigte Partnerschaft sein und sie vor dem bewahren könne, was sie als „Ehegefängnis“ bezeichnete. Darüber hinaus war sie eine der ersten feministischen Theoretikerinnen, die geschlechtsspezifische Verhaltensweisen auf kulturelle Prägungen zurückführte statt auf biologische Determination und legte damit den geistigen Grundstein für das, was heute als die moderne Gendertheorie gilt. So argumentierte sie beispielsweise 1903 in „Die Mütter“, die Mutterliebe sei kein natürlicher Trieb, sondern ein gesellschaftliches Konstrukt, welches den Frauen als vorgeblich weibliche Veranlagung anerzogen werde: „Der Mütterlichkeit muss die Speckschicht der Idealität, die man ihr angeredet hat, genommen werden.“ Damit auch Mütter weiter ihrem Beruf nachgehen könnten, schlug sie vor, Hausarbeit und Kinderziehung durch entsprechende Einrichtungen übernehmen zu lassen.

Neben ihren Forderungen nach gleichem Zugang zu Bildung und nach weiblicher Erwerbstätigkeit sprach sie sich voller Nachdruck für das Frauenwahlrecht aus. Bemerkenswert ist neben ihren anderen Leistungen auch ihr unverwechselbar humorvoller und scharfzüngiger Schreibstil: sie deckte in herrlich respektloser Sprache die Ideologien der Meinungsmacher ihrer Zeit auf und stellte deren Misogynie als als das bloß, was sie war; eine simple Verteidigung männlicher Machtansprüchen. „Nebenher“ schrieb sie mehrere erfolgreiche Lustspiele und publizierte verschiedene Gedichtanthologien.

Insgesamt veröffentlichte Hedwig Dohm über 90 Artikel, Essays und Feuilletons. Später überarbeitete sie viele ihrer Artikel noch einmal für einzelne Sammelbände. Im Ersten Weltkrieg positionierte sie sich als konsequente Pazifistin und gehörte damit zu den wenigen intellektuellen Größen Deutschlands, die sich inmitten eines begeisterten „Hurra Patriotismus' “offen und voller Entsetzen gegen den Krieg aussprachen.

Im Jahr 1918 erlebte sie zu ihrer Freude noch die längst überfällige Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland. Ihr Engagement ließ sich dadurch jedoch nicht dämpfen, bis zu ihrem Tod am 1. Juni 1919 blieb sie unverändert aktiv und ihren Nachfolgerinnen ein Vorbild. Seit 1991 verleiht der Journalistinnenbund jährlich die „Hedwig-Dohm-Urkunde“ an Frauen für herausragende journalistische (Lebens-)Leistungen und frauenpolitisches Engagement.

Sibylle Duda, Britta Meyer und Luise F. Pusch
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Original-FemBiografie zu Hedwig Dohm von Sibylle Duda und Luise F. Pusch auf http://www.fembio.org.