Montag, 27. September 2010

Warum die Menschen ihr Fell verloren

Unsere nackte Haut erleichtert das Schwitzen. Erst dadurch konnte das Gehirn größer werden.

Aus: Spektrum der Wissenschaft, Oktober 2010

Unter den Primaten verzichtet nur der Mensch auf ein Haarkleid. Die meiste Fläche unseres Körpers trägt nur noch einen ganz feinen Flaum, der praktisch zu nichts nützt. Bisher können Forscher nur spekulieren, welchen Zweck der Fellverlust hatte. Dennoch tragen Anthropologen, Genetiker und andere Forscher immer mehr Indizien und Argumente zusammen, die allmählich ein schlüssiges Bild von dieser Seite unserer Evolutionsgeschichte geben.

Die amerikanische Anthropologin und Paläoökologin Nina G. Jablonski von der Pennsylvania State University stellt die wichtigsten Erkenntnisse nun in der Oktober-Ausgabe von „Spektrum der Wissenschaft“ vor. Wissenschaftler kreisen zum Beispiel den Zeitpunkt ein, wann unsere Vorfahren ihr Haarkleid ablegten. So besagen etwa evolutionsgenetische Studien über Hautpigmente, die vor Sonne schützen, dass dunkle Haut bei den Hominiden vor mindestens 1,2 Millionen Jahren auftrat. Schimpansen tragen unter ihrem schwarzen Fell hellrosige Haut – wie vermutlich die Vormenschen, also insbesondere die Australopithecinen, auch noch.

Wahrscheinlich liegen die Anfänge aber noch weiter zurück. Denn anders als die Australopithecinen – vor rund 3 Millionen Jahren ¬– besaß der Frühmensch Homo ergaster (der „afrikanische Homo erectus“) schon vor 1,6 Millionen Jahren Körperproportionen wie wir, vor allem lange Beine. Dass er ausgiebig wanderte und rannte, besagen unter anderem Belastungsspuren an seinen Knochen.

Klimatischen und paläologischen Befunden zufolge lebte er in einer heißen, recht trockenen weiten Savannengraslandschaft und dürfte bereits Wild nachgestellt sein. Bei dieser Lebensweise wäre ein Fell hinderlich gewesen. Forscher haben nämlich berechnet, dass sich der Körper damit bei Ausdauerbelastung in der afrikanischen Savanne zu sehr aufgeheizt hätte, mit der Folge Hitzschlag. Felltragende Tiere haben zwar auch Schweißdrüsen, doch dieser Schweiß ist eher schaumig-klebrig. Werden die Haare dadurch nass, behindert das sogar die Wärmeabfuhr.

Der Mensch sondert dagegen einen wässrigen Schweiß ab, bei Bedarf bis zu zwölf Liter am Tag. Hierfür vermehrte sich eine Sorte Schweißdrüsen stark, die bei Tieren nur einen kleinen Anteil ausmacht. Weil diese Flüssigkeit bei uns direkt auf der Haut verdunsten kann, ergibt sich ein enormer Kühlungseffekt. Bei heißem Wetter könnte ein Mensch, so ergab eine Kalkulation, ein Pferd im Marathon besiegen.

Wahrscheinlich ermöglichte erst die neue Lebensweise mit viel tierischer, also energiereicher Nahrung das rasante Gehirnwachstum beim Menschen. Homo ergaster konnte sich bereits ein gut doppelt so großes Gehirn leisten wie Schimpansen. Unseres beträgt mehr als das Dreifache. Aber die nackte Haut bot auch neue Voraussetzungen für unsere soziale und kulturelle Evolution. Die Hominiden konnten nun nicht mehr Fellzeichnungen oder Haarsträuben benutzen, um anderen etwas zu signalisieren. Stattdessen erfanden wir Körperbemalung, Schmuck, Tätowierungen, wir verfeinerten unsere Mimik – und vor allem entwickelten wir Sprache.