Sonntag, 6. Juli 2008

Wo kann man mehr Tiere beobachten: Auf dem Land oder in der Stadt?


















Interview mit dem Dipl.-Biologen, Naturschützer, Exkursionsleiter, Vogelstimmen-Imitator, Fachredakteur, Lektor und Buchautor Dr. Uwe Westphal aus Seevetal bei Hamburg
http://www.westphal-naturerleben.de
http://www.westphal-textdienst.de

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Frage: Herr Dr. Westphal, auf der Audio-CD „Vogelexkursion mit Uwe Westphal“ des Musikverlags „Edition AMPLE“ http://www.tierstimmen.de sind 95 Vogelarten zu hören, deren Stimmen sie ausschließlich mit Stimmbändern, Zunge, Lippen und ohne jedes Hilfsmittel imitieren. Wie, wann und wo hat sich dieses außergewöhnliche Talent entwickelt?

Antwort: Ich beschäftige mich seit 40 Jahren mit der heimischen Vogelwelt und habe dabei die Vogelstimmen verinnerlicht. Allerdings hatte ich damals noch nicht daran gedacht, sie zu imitieren. Das hat sich im Laufe der Jahrzehnte einfach so ergeben. Ich hatte immer Spaß daran, mit meiner Stimme zu experimentieren, habe mir unterschiedlichste Techniken der Lauterzeugung beigebracht und immer wieder abgewandelt. Wenn dabei Laute entstanden, die den Rufen oder Gesängen eines bestimmten Vogels ähnelten, habe ich daran weitergearbeitet, oft über Wochen, Monate oder Jahre, aber immer zwanglos. Ich habe mir nie vorgenommen, jetzt unbedingt eine bestimmte Art oder eine bestimmte Anzahl von Vogelarten imitieren zu wollen. Mittlerweile habe ich etwa 130 heimische Vogelarten im Repertoire, dazu auch die Stimmen vieler Säugetiere, Amphibien und einiger Insekten.

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Frage: Haben Sie bereits Vögel oder andere Tiere in freier Natur mit einer von Ihnen imitierten Vogelstimme irritiert?

Antwort: Ja, das ist schon vorgekommen, in den Anfangsjahren war ich da auch noch ziemlich unbedarft. Zum Beispiel habe ich als Jugendlicher mal einen Türkentäuberich mit der Imitation seines Gesanges aus meinem Zimmerfenster heraus derart provoziert, dass er sehr erbost angeflogen kam und dabei um ein Haar gegen den verglasten Hausgiebel geflogen wäre. Vögel singen ja nicht zum Spaß, sondern sie verteidigen damit ihr Revier. Hören sie den Gesang eines Artgenossen – gleich ob als Imitation aus menschlichem Munde oder von einem Tonträger -, versuchen sie den fremden Eindringling zu finden und zu vertreiben. Sie vergeuden dabei unter Umständen viel Zeit und Energie und werden unaufmerksam gegenüber drohenden Gefahren. Deshalb setze ich Imitationen im Freiland nur zu Demonstrationszwecken bei vogelkundlichen Wanderungen ein, um den TeilnehmerInnen den Gesangsaufbau zu erklären und ihnen zu helfen, einen bestimmten Gesang aus einem vielstimmigen Vogelkonzert herauszuhören. Das ist für die Vögel in der Regel nicht provozierend, weil sie meistens weiter weg sind. Keinesfalls benutze ich meine Imitationsgabe, um Vögel anzulocken oder einem staunenden Publikum „vorzuführen“. Das verbietet allein schon der Respekt vor den gefiederten Mitgeschöpfen.
Ein triftiger Grund, Vogelstimmen im Freiland abzuspielen oder zu imitieren, ist ansonsten allenfalls bei der Bestandsaufnahme ansonsten schwierig zu erfassender Vogelarten gegeben, z.B. bei Spechten, Rallen und Eulen.

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Frage: Auf ihrer Webseite http://www.westphal-naturerleben.de ist zu lesen, dass Sie 1957 in Hamburg zur Welt kamen, als Kind von allem begeistert waren, was kreucht und fleucht, und ihre Großeltern einen kleinen Bauernhof mit zahmen und wilden tierischen Mitbewohnern besaßen. Haben die Kinder von heute weniger Chancen, Tiere in Haus, Wald und Feld zu beobachten als Sie?

Antwort: Die Antwort mutet paradox an: Auf dem Lande ist die Möglichkeit zur Naturbeobachtung heute kaum mehr gegeben, wohl aber in der Stadt. Flurbereinigung und intensive Landbewirtschaftung haben viele einst typische Tiere und Pflanzen der Äcker und Wiesen weitgehend verdrängt. Umgekehrt sind Städte in den letzten Jahrzehnten gegenüber dem Umland zu Zentren der Artenvielfalt geworden. Allein in Hamburg gibt es mehr als 160 Brutvogelarten und fast 50 Säugetierarten. Gründe sind unter anderem der Reichtum an Biotopstrukturen, eine enge Verzahnung verschiedener Biotope und ein gutes Nahrungsangebot. Empfindliche Arten, die an bestimmte Lebensräume wie etwa Moore oder Feuchtwiesen angewiesen sind, finden in der Stadt allerdings keinen Ersatzlebensraum.

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Frage: Als elfjähriger Schüler nahmen Sie zum ersten Mal an einer vogelkundlichen Wanderung im Raum Hamburg, die von Alfred Jacob geleitet wurde, teil. Was war daran so faszinierend, dass dabei Ihre Liebe zur Vogelwelt geboren wurde?

Antwort: Alfred Jacob führte uns zu einer Reiherkolonie, und die großen Vögel, die ich ohne Fernglas aus der Nähe beobachten konnte, faszinierten mich. Alfred Jacob hatte auch die große Gabe, anschaulich zu erklären und ökologische Zusammenhänge aufzuzeigen – lange bevor der Begriff „Ökologie“ überhaupt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit drang. Deshalb bin ich immer wieder bei diesen vogelkundlichen Wanderungen der örtlichen Volkshochschule mitgegangen. Schon sehr bald schenkte mein Opa mir dann sein altes Fernglas, und fortan war ich stundenlang damit beschäftigt, die Vogelwelt im Garten meiner Eltern und in der Umgebung zu studieren. Das elterliche Grundstück auf dem Lande, immerhin 1800 qm groß, wurde flankiert von doppelt so großen parkartigen Gärten mit teilweise altem Baumbestand und grenzte auf der einen Seite an Äcker und Brachen, auf der anderen an Mischwald. So konnte ich im Laufe der Jahre allein vom Garten aus rund 90 Vogelarten registrieren. Sozusagen vor der Haustür brüteten u.a. Turmfalke, Rebhuhn und Kiebitz, Schwarzspecht und Waldkauz, ich hörte Nachtigall und Wendehals, Trauerschnäpper, Girlitz und Gartenrotschwanz. Es gab damals im Garten auch noch Blindschleichen und Waldeidechsen, Hermeline, viele Wildkaninchen, Igel und Eichhörnchen sowieso, und auf den Feldern waren Rehe, Hasen und Füchse zu sehen, die nachts bis an die Gartenpforte kamen. Davon ist heute kaum noch etwas übrig – alles ist inzwischen zugebaut.

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Frage: In Marburg/Lahn (Hessen) haben Sie Biologie mit den Schwerpunkten Zoologie und Ökologie studiert. Blieb damals in ihrer Freizeit auch Muße zur Beobachtung von Tieren in freier Natur?

Antwort: Tiere konnte man direkt vom Unigelände aus beobachten. Damals war auf den Lahnbergen ein ganz neuer Campus für die Naturwissenschaften entstanden. Das Biologische Institut und einige andere Institute waren mitten in ein Waldgebiet gebaut worden – eigentlich ein brutaler Eingriff in die Landschaft, zumal man wesentlich mehr abgeholzt hatte als notwendig gewesen wäre. Diese ungenutzten Flächen lagen zunächst brach und verbuschten allmählich wieder. Auf den verdichteten Böden standen oft ausgedehnte Pfützen, in denen im Frühjahr Abertausende von Molchen ablaichten. Auf dem Gang zur Mensa hörten wir regelmäßig den Wendehals und die Heidelerche. Ein sumpfiges Gelände hatten die Biologen aufgestaut, dort tummelten sich schon bald an die 30 Libellenarten und massenhaft Frösche, und auch Schwarzstorch und Bekassine schauten gelegentlich vorbei. Es gab Eidechsen und Schlangen und vieles andere mehr. Für Exkursionen brauchten wir nur aus dem Gebäude zu treten. Leider wurden die ganzen ungenutzten Freiflächen trotz heftigster Proteste von Studenten und Professoren nach den Plänen eines Landschaftsarchitekten im Sinne des Wortes zu Tode gestaltet. Aber lebende Tiere und Pflanzen im Freiland stehen heutzutage ohnehin nicht mehr auf dem Lehrplan des Biologie-Studiums…

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Frage: Von 1984 bis 2002 arbeiteten Sie hauptamtlich als Biologe an der hessischen Akademie in Wetzlar (früher. Naturschutz-Zentrum Hessen NZH) sowie beim Naturschutzbund Deutschland (NABU), Landesverband Hamburg. Woran erinnern Sie sich besonders gerne aus dieser Zeit?

Antwort: Meine beste Zeit hatte ich Ende der 1980-er Jahre als Biologe an der naturkundlichen Station „Hermann-Kroll-Haus“ (heute: Carl-Zeiss-Vogelstation) in der Wedeler Marsch. Zusammen mit einem Zivildienstleistenden, der dort als Vogelwart lebte und arbeitete, habe ich vogelkundliche Bestandsaufnahmen gemacht. Dort draußen in der Elbmarsch, weitab von Telefon und Computer, konnte man das Wetter und die Jahreszeiten so richtig hautnah erleben. Einsame Deichwanderungen mit geschultertem Fernrohr bei Hitze, Sturm und Regen, der Rhythmus von Ebbe und Flut, Sonnenuntergänge im Elbwatt, die Rufe der Zugvögel und das Blöken der Schafe auf dem Deich – das zu erleben und dafür auch noch Gehalt zu bekommen, war schon ein besonderes Privileg.

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Frage: Als Mittvierziger machten Sie von 2002 bis 2003 eine Ausbildung zum zertifizierten Fachzeitschriftenredakteur. Gab es dafür einen besonderen Grund?

Antwort: Ich hatte immer schon ein besonderes Talent zum Schreiben und auch viel Spaß dabei. Beim NABU Hamburg hatte ich 12 Jahre lang das Magazin „Naturschutz in Hamburg“ redaktionell betreut und sehr viele Texte selbst geschrieben – vom Magazinartikel bis zu Broschürentexten. Als 2002 aus verschiedenen Gründen eine berufliche Veränderung unumgänglich wurde und ich als Biologe keine neue Anstellung fand, habe ich mich zu einer journalistischen Ausbildung zum Fachzeitschriftenredakteur entschlossen und es zu keiner Zeit bereut.

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Frage: Seit 2003 sind Sie freiberuflich tätig als Leiter naturkundlicher Exkursionen sowie als Fachredakteur, Texter, Lektor und Buchautor. Wohin führen Ihre Exkursionen und was kann man dabei sehen?

Antwort: Meine Exkursionen führen in interessante Gebiete in Hamburg und ins Umland. Was man im konkreten Fall sieht, ist natürlich abhängig vom besuchten Gebiet und vom Glück. Mal sind es Wildschweine oder Baummarder aus wenigen Metern Entfernung, mal sehen wir Kraniche oder Rothirsche oder eben auch nicht. Dafür sieht oder erlebt man manchmal etwas, womit man nicht gerechnet hätte. Die Natur ist nun mal kein Zoo. Auf jeden Fall sind immer eindrucksvolle Naturerlebnisse garantiert. Ein Waldspaziergang im Regen, eine Nachtwanderung oder einfach nur eine blühende Orchidee am Wegesrand. Jedenfalls habe ich in den 30 Jahren, die ich naturkundliche Exkursionen anbiete, noch keine enttäuschten TeilnehmerInnen erlebt. (Dass ich selbst mitunter enttäuscht war, weil ich nicht das zeigen konnte, was ich wollte, steht auf einem anderen Blatt.)

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Frage: Auf ihrer Webseite werden zahlreiche Angebote beschrieben wie Großstadt-Safari, Vogelkundliche Wanderungen, Vogelstimmen-Seminare, Yoga und Natur erleben, Yoga und Wandern, Themenwanderungen, Vorträge/Veranstaltungen, Spezielle Angebote. Was davon ist am beliebtesten?

Antwort: Ganz klar die vogelkundlichen Veranstaltungen und auch manche Themenwanderungen wie die zur Hirschbrunft. Mir persönlich liegen die mehrtägigen Veranstaltungen im Wendland in der Kombination mit den Yoga-Angeboten besonders am Herzen.

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Frage: Welche Ihrer Bücher mit Natur- und Umweltthemen sind derzeit im Handel erhältlich?

Antwort: Ich habe bislang drei Bücher verfasst: Das Buch „Wilde Hamburger“ (Murmann Verlag 2006) beschreibt die Natur in den verschiedenen Lebensräumen der Großstadt Hamburg – vom Hafen über Innenstadt, Parks- Gärten und Friedhöfe bis an den Stadtrand mit bedeutenden Naturschutzgebieten. Der Naturfotograf Günther Helm hat hierzu jede Menge tolle Bilder beigesteuert.
In dem Buch „Das Mühlenberger Milliardenloch – Wie ein Flugzeug die Politik beherrscht“ (Edition Nautilus 2005) habe ich gemeinsam mit der SPIEGEL-Redakteurin Renate Nimtz-Köster die teils skandalösen Hintergründe der umstrittenen Airbus-Werkserweiterung in die Elbbucht „Mühlenberger Loch“ und das angrenzende Dorf Neuenfelde dargestellt.
Das Fachbuch „Botulismus bei Vögeln“ (Aula-Verlag 1991) ist inzwischen vergriffen, in Restexemplaren aber noch bei mir erhältlich.
Außerdem habe ich an dem Buch „Naturschutz in der Elbtalaue“ mitgearbeitet, in dem die Jahrzehnte lange Naturschutzarbeit des NABU Hamburg im Bereich der mittleren Elbe vorgestellt und bilanziert wird.

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Frage: Auf Ihrer Webseite http://www.westphal-textdienst.de bieten Sie in Ihrer Eigenschaft als Fachzeitschriftenredakteur mit naturwissenschaftlichem Hintergrund vielfältige Dienstleistungen rund um Text und Buch an. Was wird am meisten nachgefragt: Schreibberatung, Lektorat, Redaktion, Werbe- und Informationsangebote, Exposés, Korrespondenz, Redemanuskripte?

Antwort: Aktuell habe ich Anfragen bzw. Aufträge für Begleittexte für zwei CDs, eine Broschüre, die Mitarbeit an einem Sachbuch und mehrere Artikel für ein Uni-Magazin. Ansonsten ist von der Vereinschronik bis zum Werbeflyer alles dabei. Für das Buch „Naturschutz in der Elbtalaue“ habe ich neben meiner Autorenschaft die gesamte Text- und Bildredaktion übernommen.

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Frage: Berichten die Medien in Deutschland – nach Ihren eigenen Erfahrungen – ausreichend und kompetent über Natur und Umwelt?

Antwort: Das ist unterschiedlich: Über Themen wie Waldsterben oder Klimawandel wird landauf, landab und meistens auch kompetent berichtet. Allerdings zeigt das Beispiel Waldsterben, dass solche Themen „hochgekocht“ werden und nach gewisser Zeit wieder in der medialen Versenkung verschwinden. Das Thema „Tiere“ geht immer, aber am besten weit weg oder niedlich (siehe den unfassbaren Medienhype um den kleinen Eisbären Knut oder andererseits um den „Problembären“ Bruno). Über Schutzmaßnahmen für Pandabären, sibirische Tiger oder afrikanische Nashörner zu berichten, funktioniert immer und kommt bei den Lesern gut an – aber: die Medien zu einer sachlichen Information über Konflikte vor der Haustür zu bewegen, bei der Artenschutz gegen Wirtschaftsinteressen steht, ist äußerst schwer bis unmöglich. Das habe ich selbst in verschiedenen Verfahren leidvoll erleben müssen. In diesem Falle berichten meist nicht die Umweltredaktionen, sondern die Lokal- oder Wirtschaftsredaktionen. Und dort fehlt nicht nur der biologische und naturschutzfachliche Sachverstand, sondern meist auch jegliches Verständnis für Löffelente oder Feldhamster. So kommt es, dass z.B. über die Bemühungen der Chinesen zum Schutz der weltweit bedrohten Pandas wohlwollend berichtet wird, während Naturschützer, die sich uneigennützig für den Erhalt des Lebensraumes des ebenso bedrohten Wachtelkönigs einsetzen, medial hingerichtet oder zumindest lächerlich gemacht werden.

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Frage: Wenn Ihnen eine gute Fee wichtige Wünsche erfüllen könnte, was würden Sie ihr sagen?

Antwort: Sie möge bitte dafür sorgen, dass die Menschen untereinander und mit der Natur und all ihren Geschöpfen friedlich und in Harmonie leben. Gewalt, Angst, Hass, Neid und Gier, die die Welt beherrschen, mögen auf ewig der Vergangenheit angehören.

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Die Fragen für das Interview stellte der Wiesbadener Journalist und Wissenschaftsautor Ernst Probst, Betreiber des Weblogs http://interview-weblog.blogspot.com