Freitag, 13. Juni 2008

Völkerwanderung - Barbarensturm













Während der Völkerwanderung wanderten die Völker - so die landläufige Auffassung. Doch Historiker zeichnen heute ein viel differenzierteres Bild jener Epoche, die in Europa die Weichen in Richtung Mittelalter stellte. Bild: © epoc/EMDE

Während der Völkerwanderung wanderten Völker – so die landläufige Auffassung. Doch Historiker zeichnen heute ein viel differenzierteres Bild. In der aktuellen Ausgabe von "epoc" beschreibt Andreas Laschober wie jene Epoche das Ende des weströmischen Reichs besiegelte und in Europa die Weichen Richtung Mittelalter gestellt wurden.

Aus: epoc, 04/08

Der große Sturm beginnt bereits mit einem Chaos. Auf dem Gebiet des heutigen Bulgarien drängen sich 376 n. Chr. tausende verzweifelte Goten vor der Grenze des Römischen Reichs. Was für die Fürsten der Barbaren bis dahin undenkbar war, ist nun bittere Realität: Ihre Gesandten bitten flehentlich um Einlass in die Provinzen Moesien und Thrakien. Sich dem Imperium zu unterwerfen, scheint den Fremdlingen das geringere Übel zu sein. Denn in ihrem Rücken stehen die Hunnen, drohen Hungersnöte und der Tod. Der römische Herrscher Valens, Kaiser im Osten von 364 bis 378, steht vor einer schweren Entscheidung. Wie jeder gebildete Römer weiß er: Als im Jahr 110 v. Chr. die germanischen Stämme der Kimbern und Teutonen in der Gegend der Ostalpen vor Roms Grenzen standen und ähnlich wie jetzt die Westgoten Siedlungsgebiet auf römischem Boden forderten, wurden sie von den Legionen des Imperiums sofort bekämpft und letztlich ausgelöscht.

Seitdem sind aber beinahe fünf Jahrhunderte vergangen – und vieles am Umgang zwischen Römern und Fremdlingen hat sich geändert. Längst kämpfen germanische Söldner für Rom, oft genug gegen eigene Stammesgenossen. An den Grenzen zur Germania Magna, rechts des Rheins und nördlich der Donau, blüht der Handel zwischen den römischen Garnisonen und den Einheimischen. Klingende Münze ersetzt immer öfter das blanke Schwert. Dennoch: Eine sonderbare Mischung von Furcht auf der einen und Überheblichkeit auf der anderen Seite blieb die grundlegende Haltung allen Barbaren gegenüber.

Und so zeigt Rom weiterhin allen Barbaren, die sein Territorium gefährden, die Grenzen der Koexistenz mit militärischer Gewalt auf. Aber auch Rom wurde von den Barbaren in die Schranken gewiesen. Versuche, seinerseits die Grenzen des Reichs bis an die Nordsee auszuweiten, scheiterten ein für alle Mal 9 n. Chr. im Teutoburger Wald, als Heerführer Varus drei Legionen gegen den Cherusker Arminius in den Untergang führte.

Nun steht also eine riesige Gruppe potenzieller Unruhestifter auf der Flucht vor den Hunnen an der Donau und bittet um Aufnahme ins Reich. Schließlich öffnet Valens die Grenzen für die Goten. Sie sollen zunächst entwaffnet, versorgt und schließlich als Unterworfene in Thrakien angesiedelt werden. Den Status von wehrpflichtigen Bauern will Valens den Goten zugestehen und erhofft sich davon Verstärkung für die eigenen Truppen; schließlich gibt es auch in seinem Reich für die Hunnen viel zu holen. Doch schon bald muss Valens seine Entscheidung bereuen.